Frage: Wie kann man das Selbst erkennen?
Ramana: Das Selbst zu erkennen, heißt das Selbst zu sein. Kann man denn wirklich behaupten, das Selbst nicht zu kennen? Auch wenn man die eigenen Augen nicht sehen kann,...wird man doch nicht leugnen, dass sie vorhanden sind. Ebenso sind wir unser selbst gewahr, auch wenn dieses Selbst nicht objektivierbar ist. Wenn du sagst: "Ich kenne das Selbst nicht", bedeutet das nur seine Abwesenheit im Bereich relativer Erkenntnis. Wir sind so sehr an relatives Wissen gewöhnt, dass wir uns nur noch damit identifizieren. Nur diese falsche Identität macht es schwierig, das offensichtliche Selbst nicht erkennen zu können, da es nicht objektivierbar ist...
Deine Aufgabe ist es, zu sein und nicht, dies oder das zu sein. (Die Aussage Gottes zu Moses) "Ich bin, der ich bin" enthält die ganze Wahrheit, der Weg dahin läßt sich mit den Worten zusammenfassen:
"Sei still".
Was bedeutet diese Stille? Es bedeutet das Aufgeben jeder mentalen Form von sich selbst, weil jede nur Ursache von Leid bedeutet."
- aus den Talks Nr. 363
Sri Ramana Maharshi ist nach meinem Empfinden ein Leuchtturm der reifen Spiritualität, wie sie sogar in Indien außergewöhnlich ist. Sein ganzes Leben war beispielhaft und sein natürlicher Friede fand in allem spontanen Ausdruck. Ob er schwieg oder sprach, ob er frühmorgens um drei Uhr als erster in der Küche mit der Arbeit begann oder ob sein Blick jemanden berührte: der Segen seiner Gegenwart drückte sich in jeder Geste aus, weil sein persönliches Ich sich vollständig im Ewigen aufgelöst hatte. Sorgenbeladene Menschen waren oft im Nu erquickt, wenn sie bei ihm sitzen konnten und Tiere suchten seine Nähe ganz selbstverständlich.
Seine Handschrift war so sauber und klar, dass man sie für gedruckt halten konnte, seine handwerklichen Fähigkeiten drückten sich in der Bauplanung aus oder in der Sorgfalt, mit der er seine Spazierstöcke veredelte. Seine Kochkünste sind weithin bekannt und viele konnten darin seine Liebe 'schmecken'.
Im Umgang mit Menschen spiegelte er stark sein Gegenüber. War jemand natürlich und offen, zeigte Ramana sich als liebenswürdiger Gastgeber. Waren Menschen verkrampft ehrfürchtig, konnte er sehr zurückhaltend sein. Für indische Verhältnisse ungewöhnlich war seine Pünktlichkeit und seine Liebe zur Sauberkeit und Sparsamkeit. Seine Weisheit in der Führung ratsuchender Menschen war natürlicher Ausdruck seines ewigen Bewusstseins, geprägt durch seine universelle Schau. In all dem war er die Bescheidenheit selbst, auch wenn die Tradition ihn vergötterte und ihm oft gegen seine Art einen entsprechenden Lebensstil aufzwang. Seine umfassende Liebe kam aus dem Empfinden der Einheit mit dem Leben, ob Pflanze, Tier oder Mensch und sein Bestehen darauf, zumindest bei den Mahlzeiten nicht bevorzugt zu werden, ist oft beschrieben worden. Daher auch seine Natürlichkeit; er sagte einmal: "Ich sehe mich nicht als Bhagavan, im Gegenteil, ich erlebe euch alle als Gott."
Die Fotos von Sri Ramana haben immer wieder Menschen spontan in deren Tiefe erreicht, in der Herzensebene, die sich in den Bildern ausdrückt. Selten findet man solch eine differenzierte, vielfältige Ausdrucksform, so dass einer seiner westlichen Schüler sagte, sein Gesicht sei wie Wasser, eben ohne Eigenwillen. Major Chadwick, einer der westlichen Devotees1, die ab 1935 ganz im Ashram lebten, schrieb:
Bhagavan2, war ein sehr schöner Mensch und leuchtete mit einem erkennbaren Licht oder einer Aura. Er besaß die zartesten Hände, die ich je gesehen habe, mit denen allein er sich
schon vollkommen auszudrücken verstand, man möchte fast sagen: sprechen konnte. Seine Züge waren gleichmäßig und das Wunder seiner Augen ist berühmt. Er besaß eine hohe Stirn und der
Scheitel seines Kopfes war so hoch, wie ich ihn nie sonst gefunden habe. Da dies in Indien als Zeichen der Weisheit gilt (Buddha), schien dies ganz stimmig zu sein. Sein Körper war wohlgestaltet
und nur von mittlerer Größe, was aber nicht offensichtlich war, da seine beeindruckende Persönlichkeit ihn als hochgewachsen erscheinen ließ. Er besaß einen großen Sinn für Humor und wenn er
sprach, war ein Lächeln nie fern von seinen Lippen. Er kannte viele Scherze und war ein großartiger Schauspieler; wenn er eine Geschichte erzählte, dramatisierte er die Beteiligten stets gekonnt.
War die Erzählung gefühlvoll, konnte er vor Rührung gelegentlich nicht weiter sprechen.
Kamen Menschen zu ihm mit familiären Anliegen, lachte er mit den Glücklichen und hatte gelegentlich Tränen in den Augen, wenn jemand trauerte. Er schien stets das Spiegelbild der jeweiligen
Stimmungen zu sein. Nie erhob er seine Stimme und schien er mal ärgerlich zu sein, war dennoch sein Friede ungestört. Sprach man mit ihm kurz darauf, antwortete er ganz ruhig, ohne weitere
Erregung.
- aus 'A Sadhu's Reminiscences', neu übersetzt
1. der Begriff bedeutet 'Liebende', ein passender Ausdruck, da seine Schüler mit dem Herzen lernten
2. die gebräuchliche Anrede seiner Schüler, bedeutet 'der Erhabene', eine Bezeichnung für einen gottverwirklichten Meister
Carl Friedrich von Weizsäcker, der bekannte Friedensforscher und Bruder des ehemaligen Bundespräsidenten, schrieb über seinen Besuch im Ashram 1969:
„Der Leser möge entschuldigen, dass ich das, was nicht zu schildern ist, nicht eigentlich schildere, und doch davon spreche; denn andernfalls hätte ich diesen Lebensbericht nicht beginnen dürfen. Als ich die Schuhe ausgezogen hatte und im Ashram vor das Grab des Maharshi trat, wusste ich im Blitz: „Ja, das ist es.“ Eigentlich waren schon alle Fragen beantwortet. Wir erhielten im freundlichen Kreis auf grünen großen Blättern ein wohlschmeckendes Mittagessen. Danach saß ich neben dem Grab auf dem Steinboden. Das Wissen war da, und in einer halben Stunde war alles geschehen. Ich nahm die Umwelt noch wahr, den harten Sitz, die surrenden Moskitos, das Licht auf den Steinen. Aber im Flug waren die Schichten, die Zwiebelschalen durchstoßen, die durch Worte nur anzudeuten sind: „Du“- „Ich“- „Ja“. Tränen der Seligkeit. Seligkeit ohne Tränen."