Absolutes Sein

Die reifste Frucht aller spirituellen Wege in den Traditionen unserer Welt ist die Verwirklichung des ungeteilten, absoluten Gewahrseins, die schließlich eine Ganzheit, die Nicht-Zweiheit jenseits von Geburt und Tod bewusst machen kann, die unsere dualistische Welterfahrung völlig überschreitet.

 

Wir sind essenziell absolutes Sein, können es daher nicht werden, brauchen es nicht zu erreichen und können es auch nicht verlieren. Am ehesten können wir innehalten, Seiner inne werden und Ihm inne sein.

 

Wenn wir gerade jetzt innehalten, einen Augenblick still sind, öffnet sich das Bewusstsein ganz natürlich, wird entspannter, weiter und ist mehr in diesem Moment, als gewöhnlich. Statt ein vorgestelltes Ideal erreichen zu wollen, hat sich unsere Mitte etwas mehr gezeigt. Dies können wir ‚Übungsmoment’ nennen. Seine Qualität hängt von der allgemeinen Beschaffenheit des Geistes ab. Die Klarheit und Deutlichkeit der inneren, schon vorhandenen Bewusstheit wird im Laufe der Übungszeit durch lebendige Erfahrung mit dieser Öffnung zunehmen.

 

So kann tiefe Bewusstheit unsere Menschlichkeit allmählich durchdringen und in Sich selbst verwandeln.

 

Gott wohnt in einem Licht

 Zu dem der Pfad gebricht.

  Wenn du’s nicht selber bist,

Findest du Ihn ewig nicht.

frei nach Angelus Silesius

 

Direkte Erfahrung dieses absoluten Seins ist der Ursprung aller spirituellen Traditionen. Die lebendige Ausdrucksform von Menschen, die direkt aus dieser höchsten Erfahrung sprechen, ist stets frisch und ur-sprünglich im wörtlichsten Sinne, meist durchdrungen von der Kraft und Freude, der Weisheit und Schönheit, die diese befreiende Einsicht in unser wahres Wesen mit sich bringt. Oft gerieten diese Zeugen der Wahrheit mit der verfestigten, traditionellen Religion in Konflikt, die um ihre Vorherrschaft bangte. Jesus selbst, aber auch viele andere in der Kirchengeschichte bezahlten dafür mit ihrem Leben. Auch der Islam hatte solche Märtyrer, Al Halladsch ist einer der bekanntesten unter ihnen.

 

Meister Eckhart (1260-1328)
Meister Eckhart (1260-1328)

Das Christentum hatte – neben vielen anderen lebendigen Zeugen - Meister Eckhart, der in origineller und einzigartiger Weise die Überlieferung der Mystik von Platon, Plotin und anderen in eigener Erfahrung neu und frisch zum Ausdruck brachte. Dabei handelt es sich nicht nur um eine intellektuelle Interpretation, sondern um eine Schau, die aus mystischer Verwandlung stammte und die sich der Tradition und ihrer Ausdrucksweise souverän bedienen konnte. Die große Diskrepanz zu der herrschenden Theologie seiner Zeit war ihm bewusst, wenn er sagte:

"Ich habe zuweilen von einem Lichte gesprochen, das in der Seele ist, das ist ungeschaffen und unerschaffbar."

- aus Predigt 48, Die deutschen Werke, Bd. 2, S. 418 = Ausgabe Largier (1993) 

 

 

 

"Alles, was die Heilige Schrift über Christus sagt, das bewahrheitet sich völlig an jedem guten und göttlichen Menschen."

 

"Ja, sogar dadurch, dass jemand Gott selbst lästert, preist er Gott."

 

"Der Vater zeugt mich als seinen Sohn und als denselben Sohn. Was immer Gott wirkt, das ist Eines; darum zeugt er mich als seinen Sohn ohne allen Unterschied."

- die letzten drei Sätze sind Teil der päpstlichen Verbannungsbulle.

 

Einmal beendete er eine Predigt mit folgenden Worten:

"Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar."

- aus Predigt 52, Die deutschen Werke, Bd. 2, S. 506 = Ausgabe Largier (1993) Bd. 1

 

Als ich dieses Zitat im Vorspann zu Josef Quints Buch ‚Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate’ vor fast 40 Jahren las, wusste ich mich in der Gegenwart eines echten, großen Mystikers und kaufte dieses Buch ohne Zögern. Durch eine Einkehrzeit, die sich über sechs Monate erstreckt hatte, war mein Inneres sehr empfänglich für diese Botschaft des Herzens geworden und wurde als ganz natürlich erfahren, so wie man vielleicht sonst Musik oder ein Gedicht erleben kann. Inneres Wissen ist in jedem bereits vorhanden und entsprechende Aussagen können eine unmittelbare Resonanz erzeugen.

 

Einer der universellsten Heiligen im letzten Jahrhundert war Sri Ramana Maharshi, der von 1880 bis 1950 in Südindien lebte. Seine Botschaft war so eins mit seinem Leben, dass sogar wilde Tiere seinen Frieden spürten und oft seine Nähe suchten. Auch die menschlichen Besucher vergaßen manchmal ihre Fragen, weil seine lebendige Stille so beredt war. Da er ununterbrochen in der Ewigkeit lebte, war jede seiner Handlungen Ausdruck höchster Sorgfalt, von Reinheit und von Liebe geprägt.

 

Bhagavan Sri Ramana Maharshi
Bhagavan Sri Ramana Maharshi

Obwohl er oft auf Sucher sehr einfühlsam und individuell einging, wobei er den Fragenden meist auf sich selbst zurück verwies, betonte Ramana immer wieder, dass die Stille die wahre, ewige Sprache ist, die durch Sprechen nur unterbrochen wird.

 

Seine Lehrweise ist oft wissenschaftlich genannt worden. Wenn jemand traditionelle spirituelle Formen praktiziert hatte, bestärkte Sri Ramana ihn darin. Da die Selbstverwirklichung nur einem vollkommen gesammelten, gelösten und stillen Geist möglich ist, sah er alle Praktiken als gültige Vorbereitung an. Zum anderen machte er klar, dass jeder letztlich zur Verwirklichung des absoluten Gewahrseins finden muss.

 

Die Ergründung der eigenen, wahren Identität hinter allen Persönlichkeitsbildern, oft mit Hilfe der Frage ‚Wer bin ich?’ wurde als die wesentlichste Praxis gelehrt, da sie direkt das absolute Selbst als Selbst-Gewahrsein bewusst machen kann.


 

Der Maharshi sagte:

"Die Selbstergründung ist letztlich der eine, unfehlbare Weg – der einzig

direkte – um das unbedingte, absolute Sein zu verwirklichen, dass wir wahrlich sind."

- aus Maharshi’s Gospel II, 1

 

Dabei kam stets das Paradox zum Ausdruck, dass die absolute Wahrheit noch nie abwesend war und deshalb nicht erreicht werden kann. Richtiger wäre zu sagen, dass wir essenzieller werden müssen, um dieser ewigen Wahrheit inne zu werden:

 

Frage: Wie kann ich das Selbst erreichen?

Ramana: "Es ist nicht zu erreichen. Wäre das Selbst zu erreichen, würde das bedeuten, dass es hier und jetzt abwesend ist und erst erlangt werden muss. Aber alles, was erlangt wird, wird auch wieder verloren gehen.

Es wäre unbeständig und daher nicht wert, danach zu streben. Deshalb sage ich, dass das Selbst nicht erreicht werden kann. Wir sind bereits DAS.

Dennoch ist es eine Tatsache, dass du dein seliges Sein nicht kennst.

Unwissenheit hat das reine Selbst, das Seligkeit ist, verschleiert. Alles Bemühen besteht deshalb darin, diesen Schleier aus Unklarheit zu beseitigen, der nur aus der irrigen Identifikation des Selbst mit dem Körper

herrührt. Ist die beseitigt, bleibt das Selbst allein übrig."

- aus Maharshis Gospel I, 6, S. 32,  neu übersetzt aus:  bhagavan-ramana.org/ramana_maharshi/books

 

 Was bedeutet die ‚irrige Identifikation' des Selbst mit dem Körper zu beseitigen’? In diesem Ausdruck verbirgt sich der Weg und das Ziel. Unser Bewusstsein erlebt sich immer nur in Verbindung mit einem Objekt, es kennt sein eigentliches Wesen nicht. Wenn wir die gelebte Wirklichkeit unserer Erfahrungswelt prüfen, werden die meisten sich selbst mit dem Körper gleichsetzen. Welche Erfah-rungen kennen wir, die nicht den Körper und die Persönlichkeit, die sich auf den Körper stützt, als Erfahrungsbasis annehmen? Was kennen wir außerhalb der Erlebniswelt der fünf Sinne, zu der im Buddhismus und im Advaita alles Mentale als sechster Sinn gezählt wird? Alle wahre Mystik ist sich einig, dass das absolute Leben in diesem Bereich nicht zu finden ist. Selbsterforschung im Sinne Ramanas, aber auch im Sinne Buddhas und im Sinne von Christus bedeutet also die Unterscheidung des Vergänglichen vom Unvergänglichen. 

 

Buddha (Bildnachweis:Wikipedia)
Buddha (Bildnachweis:Wikipedia)

 

 

So sind Buddhas letzte Worte überliefert: 

„Alle zusammengesetzten Dinge sind unbeständig; erarbeitet eure Freiheit sorgfältig!“

 

 

 

Christus drückte den gleichen Gedanken mit großer Poesie aus:

„Habt da euren Schatz, wo ihn nicht die Motten und der Rost fressen und Diebe ihn nicht ausgraben, um ihn zu stehlen. Denn da, wo euer Schatz ist, ist auch euer Herz. Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib licht sein.

- frei nach Matthäus VI                                           

Nur diese lichte Qualität des Bewusstseins kann den ‚Schatz’ des absoluten Lebens erfahren. Wenn wir unser Herz der Erforschung des Ewigen widmen, haben die ‚Motten und der ‚Rost’, die Vergänglichkeit, keine Macht mehr über uns. ‚Einfältig’ bedeutet hier: nach innen gefaltet, nach innen gewendet.

 

Sri Ramana setzte die Vorstellung, sich für den Körper zu halten und darauf zu beschränken, mit der grundlegenden Unwissenheit gleich, die in der christlichen Tradition als Erbsünde bezeichnet wird. Nur die Einsicht in unser absolutes Wesen kann diesen ‚Schleier der Unwissenheit’ beseitigen. 

 

Unwissenheit bedeutet die Unkenntnis des Bewusstseins seiner selbst. 

 

Es kann sich nur indirekt in einer Beziehung zu einem Objekt erfahren, und muss sich spiegeln, wie die Stiefmutter von Schneewittchen symbolisch von dem Spiegel abhing, während Schneewittchen die Seele darstellt, die in ‚Unschuld’, der Nicht-Gespaltenheit in Subjekt und Objekt lebte.

Alles Sadhana, wie in Indien spirituelle Praxis bezeichnet wird, dient dazu, die Qualifikation für diese Einsicht zu entwickeln. Denn diese ‚Ein-Sicht’ ist von ganz eigener Güteordnung und dem durchschnittlichen Verstand unmöglich zugänglich. Im Gegenteil: Meister bringen häufig all ihr Geschick auf, um das Denken zum Stillstand zu bringen. Denken ist Zeit, ist dualistisch und objektivierbar. Das wahre, absolute Sein ist ungeteilt, ganz und nicht objektivierbar. Also auch nicht sagbar.

 

Kommen wir zurück zu der Öffnung, dem Übungsmoment. Wenn wir erneut still und ungerichtet sind, die Gegenwart jetzt ganz direkt zulassen, werden wir frisch erleben, dass der Geist sich entspannt und weitet. Ist in dieser Öffnung nicht eine Ursprünglichkeit und Losgelöstheit von dem gewohnten Netzwerk des Denkens? Besitzt diese Öffnung nicht eine ganz frische, lebendige Qualität, die immer deutlich klarer ist, als irgendein mentaler Zustand? 

Da diese Erfahrung subtil ist, empfehlen manche Traditionen wie zum Beispiel das tibetische Dzogchen gerade diese spontane Übung, die nicht versucht, an etwas festzuhalten, sondern sich eher immer wieder neu öffnet. Die Einfachheit könnte uns täuschen, aber wenn wir mit dieser natürlichen Qualität vertrauter sind, weden wir über deren Tiefe staunen. Denken wir daran, dass Jesus die Unschuld der kleinen Kinder den Jüngern als Vorbild präsentierte.

 

Wenn Gott zu Moses sagt:

„Mein Angesicht kannst du nicht sehen. Niemand kann mich sehen und leben“                                                           

- aus 2. Mos. 33:20

        

ist eine advaitische, nicht-duale Wahrheit ausgedrückt worden. Gott kann nur als SEIN erfahren werden und in der Mystik weiß man, dass die Getrenntheit des persönlichen Ich zuvor ‚sterben’ muss, damit die ‚unio mystica’, die mystische Einheit, bewusst werden kann.

 

Sri Ramana erfuhr mit sechzehn Jahren dieses Sterben der persönlichen Identität, die den Jugendlichen in einen erleuchteten Weisen verwandelte. Einzigartig war in seinem Fall, dass er sich trotz der Todesangst diesem Sterbevorgang ganz hingeben konnte und dass vielleicht gerade deshalb das persönliche Ego-Bewusstsein sich nie wieder als vermeintliches ‚Ich’ etablieren konnte. Paradoxerweise liegt die Freiheit und Unsterblichkeit dort, wo das Denken keinen Halt mehr findet, also im ‚freien Fall’ in Das, was sich in dem Übungsmoment zumindest andeutet:

 

Was ist jetzt die Erfahrung, wenn wir erneut innehalten? Können wir den Raum und die Ruhe des Hintergrunds wahrnehmen, die wie eine Konstante alle Veränderungen durchzieht und trägt? Sie trägt nicht nur die wechselnde Geräuschkulisse, sondern dort klingt etwas von der Unveränderlichkeit des Seins an, die Mitte aller Sinneswahrnehmungen ist, aber wie die Leinwand eines Films meist nicht als tragende Basis wahrgenommen wird.

Sobald wir auch nur einen Anklang davon erleben, weitet sich unser Bewusstsein und darin deutet sich an, dass unser Geist eins mit dieser Mitte ist, dass wir dort eigentlich zuhause sind. Da ist das Unfassbare, in dem in reinster Form unsere Unsterblichkeit immer anwesend ist. Überlassen wir uns IHM in freiem Fall ...

 

 Sri Ramana ruhte von nun an in allen Bewusstseinslagen bewusst im Ewigen, sogar der Tiefschlaf konnte diese Grundbewusstheit nicht mehr überlagern. Er verglich diesen Zustand des mühelosen, natürlichen Versunkenseins, den er Sahaja Samadhi, d.h. natürlicher Samadhi nannte, manchmal mit der ‚Shruti’, dem ausgehaltenen Basiston der indischen Musik, auf dem sich die jeweilige Melodie aufbaut.

 

 

 

Es gibt auch heute Lehrer, die diese advaitische Wahrheit anbieten. Darunter sind einige von großer seelischer Reife, wie Adyashanti, Eckhard Tolle, Byron Katie und  andere.

 

Was an Sri Ramana Maharshi allerdings einzigartig war: er lebte ununterbrochen im Ewigen und alles, was er sprach, tat, jede Handbewegung war deshalb ein direkter Ausdruck dieser absoluten Freiheit des Zeitlosen in der Zeit. Tiere hatten spontanes Zutrauen, Affen suchten ihn zum Beispiel als Schlichter in ihren Streitigkeiten auf. Menschen vergaßen in der dichten Präsenz seines Friedens oft ihre Anliegen und erfuhren gerade darin eine unmittelbare, direkte Lösung.

In der indischen Philosophie kennt man den Begriff des vollkommen Befreiten, der als Jnani oder Jivan-Mukta bezeichnet wird.

Ein Jnani lebt in der ununterbrochenen Bewusstheit der Ewigkeit als Jivan-Mukta oder befreite Seele. Ununterbrochen bedeutet, dass weder der Tiefschlaf noch sonst ein Zustand das ewige Gewahrsein wieder zudecken kann. Sri Ramana selbst hat die Kreuzigung Christi als Bild für den ‚Tod’ des persönlichen Ich verwendet und die Auferstehung als die Befreiung des Ewigen als dessen Folge:

„Wenn das Ego gekreuzigt wird und stirbt, wird das Absolute Sein überleben, das ‚Ich und der Vater sind eins’, und dieses wunderbare Überleben wird Auferstehung genannt. “

– aus Talks Nr. 86

 

Die ununterbrochene Bewusstheit, die auch im Tiefschlaf vorhanden bleibt, weder durch Krankheit, Leid oder den Tod berührt wird, unterscheidet den Sucher von dem Meister. Obwohl wir essenziell alle dieses ewige Bewusstsein sind, ist Es erst in einem Befreiten ganz offenbart worden:

Wenn die unreinen Vasanas (mentale Neigungen), die ohne Anfang sind und als Nährboden für den Wachzustand und den Traumzustand überdauern, verschwinden und vergehen, wird der Zustand des Tiefschlafs, zuvor als leer und dumpf erfahren- was zu Nichterkenntnis und Leid führte- sich in den transzendentalen Zustand von Turiya verwandeln.“                                                                     - aus Guru Vachaka Kovai, Vers 460
 

Die drei Zustände des Wachens, Träumens und Schlafens sind im Ewigen als mental und damit relativ erkannt und überschritten worden. Das bedeutet, dass der Jnani diese Zustände nicht länger als maßgeblich für seine wahre Identität erlebt. Turiya ist ein Begriff für das Ewige als Basis für die drei relativen Zustände des Wachens, Schlafens und Träumens.

 

Die mentalen Strukturen haben keinen ersten Anfang, die bekannte Frage, was zuerst da war, die Henne oder das Ei, deutet darauf hin. Auch die heute gültige Sicht eines ‚Urknalls’ kann nicht erklären, was dem kausal voraus ging. In der Sicht des Ewigen ist diese Fragestellung falsch, da die Zeit selbst nicht mehr als Maßstab gilt.

 

Neben den asiatischen Weisen hat auch Meister Eckhart gesagt:

ipity, d.h. „Man kann gelten lassen, die Welt sei von Ewigkeit her gewesen.“

 

Nisargadatta, ein Jnani, der im letzten Jahrhundert in Mumbai (Bombay) lebte, antwortete einmal auf die Frage, ob man seiner selbst im Tiefschlaf bewusst sein könnte:
„Natürlich! Wenn du die Lücken der Unachtsamkeit in den Stunden des Wachseins eliminierst, wirst du allmählich die große Lücke der Geistes- Abwesenheit beseitigen, die du Schlaf nennst. Du wirst gewahr sein, dass du schläfst.“

– aus I AM THAT, Talk 8, 2.6. 1970

 

Alle Philosophie und heilige Lehre hat immer nur einen begrenzten Bereich, in dem sie hilfreich ist. Wir scheitern oft eher an der grandiosen Einfachheit des Seins. Deshalb wollte Sri Ramana und alle großen Lehrer mit ihm vor allem den besonderen ‚Spürsinn’ für das immer Gegenwärtige in den Suchern wecken. Eine Übungspraxis, um Das zu erfahren, was bereits vorhanden ist? Klingt das nicht paradox?

 

Tatsächlich ist die Wahrheit nie in eine Kategorie zu packen, alles was sich in nur eine Begrifflichkeit allein fassen lässt, kann sie deshalb nicht sein.

 

Was ist Sein jetzt in unserer direkten Erfahrung? Niemand kann einen Augenblick ohne Gegenwart, d.h. ohne Sein da sein, das ist offensichtlich. Können wir erkennen, dass jeder Moment aus zwei Komponenten besteht: einem ‚Bildschirm’ und einem ‚Film’? Also Elementen, die sich wandeln und einem Hintergrund, der konstant ist?

 

Die meisten Menschen leben nur in den veränderlichen Dingen, unser Leben scheint nur aus ihnen zu bestehen. Unser Verstand versucht durch Gewohnheiten in allen Bereichen des Lebens eine gewisse Sicherheit und Geborgenheit zu schaffen und zu garantieren. Dagegen ist nichts zu sagen, außer, dass es nie reicht und nie endgültig und wirklich sicher ist. Deshalb hat der Buddha alles objektive Leben als nicht sicher charakterisiert und seine Schüler direkt aufgefordert, den Wandel in sich selbst bewusster wahrzuhaben. Er selbst, so heißt es, kam zur Erleuchtung durch das bloße Betrachten seines Atemflusses, also durch eine dynamische, fließende und begleitende Achtsamkeit.

 

Das ist tatsächlich die Erfahrung - die Stille wird bewusst, wenn die Veränderlichkeit bewusster wird:

 

Setzen wir uns aufrecht hin und schließen die Augen. Entspannen wir offensichtliche Spannungsbereiche wie die Schultern, den Bauch, die Beine. Suchen wir dann eine Nähe zu dem Ganz-Körperempfinden. Nach ein paar Minuten beginnen wir den Atem sanft zu spüren, ohne ihn absichtlich zu beeinflussen, weder zu hemmen, noch anzutreiben. Wir lassen während des Ausatmens bewusst locker in der Bauchwand, geben dem Atem einfach den Raum, den er gerade möchte. Bei jedem Ausatmen wieder bewusst nachgeben... Immer wieder neu direkt in Berührung sein mit dem aktuellen Empfinden, genau da, wo der Atem gerade ist.